Abschied mit Solo (Freundeskreis-Talk vom 18.10.2024)
Thierry Stöckel war seit 1989 1. Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Heidelberg.
35 Jahre lang saß der Franzose Thierry Stöckel am Pult des 1. Konzertmeisters beim Philharmonischen Orchester Heidelberg. Dass sie ihn vermissen werden, wissen die Mitglieder des Freundeskreises schon, auch wenn sie ihn in Schwetzingen noch bei den beliebten, von ihm verantworteten Weihnachtskonzerten hören können.
Dass er die Geige im Ruhestand sowieso nicht einfach zur Seite legen wird, ist klar. „Ich werde kochen, trinken, reisen – und ich werde immer Geige spielen“, sagte Stöckel beim Freundeskreis-Talk im Orchestersaal, bei dem ihn Intendant Holger Schultze und Annette Trabold, die stellvertretende Vorsitzende des Freundeskreises, zu Vergangenheit und Zukunft befragten. Der Beruf ist für ihn ganz klar Leidenschaft.
Zur Geige kam Stöckel, weil er sich mit seinem älteren Bruder immer über den Platz am Klavier stritt. Da teilte ihm die Mutter, die Orgel spielte, ein anderes Instrument zu. „Ich war sofort zufrieden mit der Entscheidung, ich war sehr stolz und hatte eine super Lehrerin.“ Als Dreizehnjähriger übte er bereits fünf Stunden täglich. Schon vor dem Abitur nahm ihn sein Professor aus Brüssel mit zu Festivals in Spanien. Später spielte er in verschiedenen Orchestern in Frankreich, ehe er sich 1989 auf die Konzertmeisterstelle in Heidelberg bewarb. „Ich wollte immer vorn sein. Als Konzertmeister habe ich meine Freiheit gefunden. Ich kann meinen Bogenstrich spielen und nicht den der anderen.“
Im Orchester in Heidelberg – am dritten Pult – fand er auch seine große Liebe, die amerikanische Geigerin Lisa Nielson. Von da an wurde im Haus Stöckel/Nielson zu zweit gegeigt, „sie oben, ich unten“. Der gemeinsame Sohn wählte als Instrument lieber das Cello mit seinen tieferen Tönen. „Er war begabt, aber er spielte lieber Basketball. Ich fand das gut so“, sagt Stöckel.
Er selbst übt oft fünf Stunden täglich und schmunzelt: „Sonst geht es mir nicht gut; ich kriege schlechte Laune.“ Seine beste Zeit dazu ist vormittags, und am liebsten übt er die schweren Stellen in einem Zimmer im Theater, wo er auch überlegt, was sich der Dirigent wohl so vorstellt und was davon er dem Orchester weitergeben wird. Mit dem neuen Chef, Mino Marani, ist Thierry Stöckel glücklich: „Er bringt frische Luft, er ist ein wunderbarer Dirigent.“
Die Barockmusik, die ein Teil des Orchesters beim Festival in Schwetzingen spiele, habe die Musiker weitergebracht, findet er. „Wir haben eine hohe Flexibilität gelernt, wir können verschiedene Versionen spielen.“ Seit 16 Jahren machen sie das – „es bringt uns was für den Rest der Spielzeit.“ Fasziniert ist Stöckel auch, wenn er die Geige von Wilhelm Cramer aus dem Kurpfälzischen Hoforchester in Mannheim vom Ende des 18. Jahrhunderts spielen kann. Der Präklassik-Bogen sei schwerer an der Spitze. „Es ist sehr interessant. Manche Konzerte kann man mit diesem Bogen besser spielen.“
Dass Stöckel mit dem Heidelberger Mäzen Wolfgang Marguerre zusammen Musik macht und dass es ihm gelang, in einer schwierigen Zeit dessen Unterstützung für die Kultur in Heidelberg zu finden, kam im Freundeskreis-Talk ebenfalls zur Sprache. Oder das, was alles von der Bühne in den Orchestergraben fallen kann. Oder wie man sich zu unsympathischen Dirigenten verhält („Ich kann dann nicht mit der Seele spielen.“). Dazu lobte der Konzertmeister sein Orchester („wirklich super“) und auch sein Publikum („es ist so treu, wirklich unglaublich“).
Am 31. Oktober ist Thierry Stöckels letzter Arbeitstag, zwei Tage nach seinem 66. Geburtstag. Beim 2. Philharmonischen Konzert am 30. und 31. Oktober im Heidelberg Congress Center verabschiedet er sich mit dem Violinen-Solo in Rimski-Korsakows „Scheherazade“.
Text: Birgit Sommer
Bild: Susanne Reichardt